Henri Matisse, ein Meister der Farben und Formen, verführt die Sinne und lädt zur Reise ein – einer Reise durch das Licht des Mittelmeers, die Stille fremder Landschaften und die Sehnsucht nach dem perfekten Augenblick. Die Fondation Beyeler widmet dem visionären Künstler seit September 2024 eine umfassende Retrospektive und bringt über 70 seiner bedeutendsten Werke nach Basel.
Henri Matisse (1869–1954) wuchs im nordfranzösischen Le Cateau-Cambrésis auf, einer Industriestadt, die ihm zunächst nur wenige Anreize für seine spätere künstlerische Laufbahn bot. Ursprünglich zum Juristen ausgebildet, fand Matisse seinen Weg zur Kunst eher durch Zufall: Als er sich von einer Blinddarmentzündung erholte, schenkte ihm seine Mutter einen Malkasten. Was als Zeitvertreib begann, sollte sein Leben verändern. Bereits wenige Jahre später entschied sich Matisse, die Juristerei aufzugeben und stattdessen die Pariser Kunstwelt zu erkunden – eine Entscheidung, die ihn schliesslich zu einem der einflussreichsten Künstler des 20. Jahrhunderts machen sollte.
Von den Kunstakademien in Paris angezogen, studierte Matisse unter anderem bei Gustave Moreau und entdeckte bald seine Vorliebe für kräftige Farben und vereinfachte Formen. Inspiriert durch Postimpressionisten wie Paul Gauguin und Van Gogh sowie durch japanische Druckkunst und afrikanische Skulpturen, entwickelte Matisse eine eigene künstlerische Sprache, die die Grundprinzipien der Malerei revolutionierte. Durch seinen Einsatz intensiver Farben ohne Rücksicht auf die realistische Darstellung des Motivs entstand eine Malerei voller Energie und Emotion. Diese neue Ausdrucksform, die später als Fauvismus bekannt wurde, stellte einen radikalen Bruch mit der akademischen Tradition dar und führte Matisse an die Spitze der Avantgarde.
Seine Werke wie «Frau mit Hut» aus dem Jahr 1905 lösten Kontroversen aus, als sie auf dem Pariser «Salon d’Automne» ausgestellt wurden. Die wild aufgetragene Farbe und die stark abstrahierten Formen riefen scharfe Kritik hervor, die Matisse jedoch nicht entmutigte. Er erkannte, dass er mit der Farbe als eigenständigem Ausdrucksmittel eine neue emotionale Dimension erschaffen konnte. Während seine Zeitgenossen im Fauvismus eine vorübergehende Phase erlebten, entwickelte Matisse die Idee weiter und integrierte sie als zentrale Säule in sein gesamtes Werk.
Eine Retrospektive, die zur Reise einlädt
Die Fondation Beyeler zeigt seit September und noch bis Ende Januar die erste umfassende Retrospektive von Matisse in der Schweiz und im deutschsprachigen Raum seit fast 20 Jahren. Unter dem Titel «Matisse – Einladung zur Reise» lädt die Ausstellung die Besucher*innen ein, die evolutionäre Kraft dieses Künstlers neu zu entdecken. Die Retrospektive greift dabei die wesentlichen Etappen und die Vielfalt seines Werks auf – von den frühen Jahren, die von seiner Suche nach Licht und Einfachheit geprägt waren, bis hin zu seinen späten ikonischen Scherenschnitten, die in ihrer Klarheit und Schönheit einen Höhepunkt seines künstlerischen Schaffens darstellen.
Als Inspiration und poetisches Leitmotiv der Ausstellung dient Charles Baudelaires Gedicht «L’invitation au voyage», das Begriffe wie «Überfluss», «Ruhe» und «Genuss» als lyrische Konstanten nutzt und Matisses künstlerische Vision prägnant zusammenfasst. Diese Themen spiegeln sich in zentralen Werken wie «Luxe, calme et volupté» wider, das als exemplarisches Werk der Fauvist-Phase Matisses Suche nach einem idealisierten Ort der Ruhe und des Wohlstands versinnbildlicht. In der Fondation Beyeler setzt die Ausstellung diesen Gedanken fort, indem sie das Publikum auf eine Reise durch die entscheidenden Stationen seines Werks mitnimmt. Zu den ausgestellten Meisterwerken zählen ikonische Werke wie «La Desserte» (1897), «Le Luxe I» (1907), «Poissons rouges» (1912), «Figure décorative sur fond ornemental» (1925/26) und «Grand nu couché» (1935). In diesen und anderen Arbeiten lässt sich Matisses künstlerische Entwicklung ablesen: von der frühen figurativen Malerei, die noch vom Impressionismus beeinflusst ist, über die expressiven Farbwelten des Fauvismus bis hin zu den abstrahierten Formen und leuchtenden Farbschnitten, die sein Spätwerk kennzeichnen.
Reisen und das Licht, das er an verschiedenen Orten fand, prägten Matisses Werke auf entscheidende Weise. Auf der Suche nach dem idealen Licht und einer neuen Farbpalette zog es ihn immer wieder in den Süden: von Südfrankreich nach Italien, Spanien und Marokko bis hin zu einer Entdeckungsreise durch die USA und die Südsee. Dabei fand er in der mediterranen Sonne eine einzigartige Lichtqualität, die er in die Farbgestaltung seiner Werke übertrug. Seine Atelierfenster, insbesondere das berühmte offene Fenster von Collioure, das den Blick auf das Aussen lenkt und das Innere mit dem Äusseren verbindet, wurden zu einem wiederkehrenden Motiv. Sie symbolisieren die Wechselbeziehung zwischen dem Reisen und dem Atelier, zwischen Sehnsucht und Zu-Hause-Sein, die seine Kunst durchzieht. Gerade diese symbolische Spannung macht Matisses Werk zeitlos und universell.
Die Ausstellung umfasst zudem einen speziell eingerichteten Multimedia-Raum, der die Besucher*innen auf eine visuelle Entdeckungsreise mitnimmt. Durch historische Fotografien, Wandbilder und Filmsequenzen lassen sich Matisses Reisen, seine Ateliers und seine künstlerischen Prozesse hautnah miterleben. So werden die Faszination des Künstlers für andere Kulturen und seine Suche nach neuen Bildwelten und Ausdrucksformen greifbar.
Abgerundet wird das Ausstellungserlebnis durch einen umfangreichen Katalog, der von Raphaël Bouvier herausgegeben und mit fundierten Essays von Expert*innen wie Griselda Pollock und John Elderfield ergänzt wurde. Dieser Katalog bietet tiefe Einblicke in die Kunst und das Leben eines Mannes, der sich ein Leben lang mit dem Medium der Farbe und der Form auseinandersetzte.
«Matisse – Einladung zur Reise» ist eine poetische Hommage an einen Künstler, der das Sehen und Erleben von Kunst neu definierte. Sie lädt das Publikum dazu ein, Matisses Welt mit offenen Augen zu erleben und in die Tiefen seiner Vision von Farbe, Form und Licht einzutauchen – ein Erlebnis, das noch lange nachwirkt und die Seele berührt.
Fondation Beyeler
Baselstrasse 101
CH-4125 Riehen
Öffnungszeiten täglich 10 bis 18 Uhr, mittwochs bis 20 Uhr, Friday Beyeler bis 21 Uhr